Visionen eines Museumsarchipels. Kritische Anmerkungen zu dem, was das #Münzkabinett_Berlin unter #Provenienzforschung versteht

Inhalt

Einführung
Die aktuelle Entfaltung einer Debatte um Provenienzforschung numismatischer Sammlungen in den Social Media

Analyse des Tweets von Weisser und drei Kritiken
1) Nicht nur materielle Kultur
2) Die Pluralität der Provenienzfoschung bzw. Provenianzstufen
Tweet-Antwort von Cyron
3) Da Problem der Identifizierung

Analyse des Tweets von Dahmen und drei Kritiken
1) Verantwortung der Provenienzforschung der eigenen Bestände
2) Auswahl, Stichproben und Bestand
3) Quellenangaben, Quellen-Prüfung und -Zugang

Fazit

Einführung

Bezeichnend dafür, wie das Berliner Münzkabinett mit der Frage Provenienzforschung umgeht, sind zwei jüngere Botschaften, die Direktor Weisser und der Kurator Karsten Dahmen ein paar Tage nachdem ich meinen Vortrag über die digitalen Implikationen meines Dissertationsprojektes “Atlas der Numismatischen Landschaften im Nationalsozialismus” ( #AtNuL_NS ) gehalten hatte, via Twitter mitgeteilt haben.

  • Hier zu einer kurzen Beschreibung des #AtNuL_NS .

Die aktuelle Entfaltung einer Debatte um Provenienzforschung numismatischer Sammlungen in den Social Media

Ich habe am 21. Juli im Rahmen des Workshops „(Art-)History goes Digital. Reichweite und Grenzen digitaler Methoden in der historischen Forschung“ (München, Bayerische Akademie der Wissenschaften) einen Vortrag über die digitalen Implikationen meiner laufenden Dissertationsprojektes gehalten.

  • Hier zum Programm des Workshops.

Ein Video von meinem Vortrag habe ich geschnitten und am 25. Juli auf YouTube hochgeladen.

Am selben Tag meines Vortrages (am 21. Juli) wurde darüber von Maria Rottler‏ (@MariaRottler), Julian Schulz‏ (@SchJulzian) getwittert und von mir (@Sbardella)  retwittert.

Bereits am 14. Juli, in Vorbereitung meines Vortrages, hatte ich mich mit Herrn Dr. Dahmen in Verbindung gesetzt, um einige technischen Aspekte betreffend die Funktionalitäten des Internet Katalogs des Münzkabinetts zu klären, da ich aus rein methodologischen Gründen Interesse an diesem Katalogisierungssystem hatte, und dieses in dem Vortrag als Anhaltspunkt für meine eigene Datenbank kurz erwähnen wollte.

Die öffentliche Reaktion des Berliner Münzkabinetts auf mein Nachfragen und auf die Debatte um meinen Vortrag auf Twitter ist Gegenstand des vorliegenden Blogbeitrages.


Weisser (@WeisserBernhard) twittert am Samstag den 22. Juli um 19:33 Uhr, „#Provenienzforschung gehört zur Objektgeschichte der #Münzen und #Medaillen als EIN Teil derer materiellen Kultur.


Dahmen (@KarstenDahmen) twittert am Sonntag den 23. Juli um 10:07 Uhr, dass die „#Provenienzforschung ein Dauerthema im #Münzkabinett_Berlin“ ist. Zur Bekräftigung dieser Stellungnahme verlinkt er einen Blogbeitrag vom 23. Oktober 2016: http://ww2.smb.museum/ikmk/news.php?news_id=890


Bernhard Weisser ist seit August 2015 auf Twitter; Karsten Dahmen seit September 2015. Beide benutzten am 22. bzw. am 23. Juli für das erste Mal in zwei Jahren den Hashtag #Provenienzforschung. Beide vermeiden dabei den Begriff „NS-Provenienzforschung“.

 

Tweet von Weisser

In dem Tweet von Direktor Weisser ist die interessante These vertreten, nach welcher der Provenienzforscher die numismatischen Objekte als Gegenstände betrachtet. Die Provenienzforschung, wie ich dieses Tweet auslege, wird somit als eine alltagsgeschichtliche und anthropologische Untersuchung verstanden, die auf eine Einbettung der Signifikation bzw. der Stratifikation von Signifikationen einer Münze oder einer Medaille im ihrem kulturellen Entstehungs- bzw. Benutzungskontext abzielt.

Das ist scharfsinnig und auf jeden Fall weitere Überlegungen wert. Die Provenienzsforschung anvisiert jedoch mehr als eine Objektgeschichte und ist immer in Pluralform aufzufassen, sodass die Objektgeschichte einer Münze oder einer Medaille im Sinne ihrer materiellen Kultur nur EINS der Aspekte ist, mit welchen sich die Provenienzforschung befasst.

1) Die Pluralität der Provenienzfoschung: Materie

Münzen verfügen über mehrere Provenienzstufen. Viele dieser Stufen lassens sich nicht durch eine Analyse der materiellen Kultur rekonstruieren. Einige Provenienzstufen implizieren makoökonomischen und währungspolitischen Manöver, manche andere resultieren von bestimmten kultur- und sammlungspolitischen Strategien, andere Provenienzstufen noch leiten sich der immer wechselnden denkmalpflegerischen Instanzen ab.

2) Die Pluralität der Provenienzfoschung: Historie

Überdies besteht auch die Möglichkeit, diese pluralen Provenienzen nicht nur nach Materie, sondern nach Epochen einzustufen. Die Prägung in einer Münzstätte ist eine mögliche Stufe der Provenienz; die Ausgrabung eines Münzfundes ist eine Stufe der Provenienz; aber auch der NS-bedingte Eigentumswechsel ist eine Stufe der Provenienz, sowie der Verlust von Münzbeständen während Luftschutzmaßnamen. Angesichts der Besonderheit der Mechanismen, die im „Dritten Reich“ zu massiven, neuartigen Verlagerungen und Eigentumswechseln führten (die rückblickend als ebenso viele unterschiedliche, aber gewissermaßen auch als eine homogene Provenienzepoche angesehen werden dürfen), so gibt es auch das Bedürfnis die Singularität der NS-Provenienzforschung zu anerkennen und ihren besonderen Aufgaben gewachsen zu werden. Diese und andere Singularitäten in dem pluralen Gebiet der Provenienzforschung machen es unmöglich, sämtliche Forschungen über die Herkunft einer Münze als Teil der materiellen Kultur zu gruppieren.

3) Das Problem der Identifizierung

Als Antwort auf das Tweet von Weisser hinterlässt der Twitter-Nutzer Marcus Cyron (@MarcusCyron), auf Twitter seit Juli 2010, folgenden Kommentar:

Dabei vertritt er eine aus den Reihen der Museumsleuten weit verbreitete Position. Auf das damit verbundene Problem bin ich auch in meinem Vortrag eingegangen (siehe dort ab Minute 11.17). Kutz gefasst: Häufig bliebt die Museumspolitik der Nazizeit im Schatten und wird eine NS-Provenienzforschung, speziell in Münzkabinetten, auch dadurch abgelehnt, dass es ein angeblich ontologisches Hindernis bei der Identifizierung von Münzen gäbe. Die Identifizierung der Einzelstücke, die die NS-Provenienzforschung als als Teilaufgabe bzw. erfreuliche Folge haben kann, kann ihr nicht als Hauptaufgabe auferlegt werden, da sie zunächst und vielmehr die Rekonstruktion der möglichen Wege der abhandengekommener Sammlungen abzielen sollte (zu diesem Thema habe ich im Februar 2016 am Institut für Kunstgeschichte der LMU München vorgetragen: „Die Erforschung der Provenienz(en) von numismatischen Sammlungsobjekten“. Bei Interesse könnte ich mein Manuskript leicht bearbeiten und auf diesem Blog veröffentlichen).

Tweet von Dahmen

In dem Tweet von Herrn Dr. Dahmen überrascht die Selbstverständlichkeit, mit welcher die Frage der Provenienzforschung mit einem Hinweis auf den Interaktiven Katalog abgefertigt und somit bagatellisiert wird.
Indem er durch diesesn angeblich erledigenden Hinweis auf den IKMK von Provenienzforschung als Dauerthema im Berliner Münzkabinett redet, entsteht in den Lesern die Hoffnung, in dem verlinkten Blogbeitrag einen ausführlicheren Bericht darüber zu finden, was bisher das Berliner Münzkabinett zum Thema Provenienzforschung geleistet hat.
Im Wesentlichen wird dort jedoch nur Folgendes ausgeführt: die Benutzer des IKMK können (seit 23.10.2016) nach Vorbesitzern und Veräußerern von Objekten, soweit diese im IKMK erfasst sind, aktiv suchen. Dort, wo der genaue Erwerbungsvorgang unbekannt ist, wird „ein zusätzliche [sic] Feld »Provenienz« ausgegeben, welches den frühesten Nachweis des jeweiligen Objekts im Bestand des Münzkabinetts beschreibt.“
Unmittelbar drängt sich für den Benutzer das Problem auf, nachdem er nach einem bestimmten Veräußerer gesucht hat, die Treffen nicht weiter nach Accession-Datum filtrieren zu können. Wählt man z. B. “Firma Dr. Busso Peus Nachf.” als Veräußerer, erhält man 112 Treffer. Diese Ergebnisse werden alphabetisch geordnet und sind filtrierbar nach Titel, Zeit, Gewicht, Münzstätte, Nominal, Material, Datensatz-ID – jedoch nicht nach Accession-Datum. Um herauszufinden, welche Münzen und Medaillen das BMK von Dr. Busso Peus zwischen 1933- und 1945 angekauft hat, müsste man alle 112 Treffer durchsuchen.

ikmk peus

Das wäre an sich kein (unüberwindbares) Problem – vor allem dann nicht, wenn man den IKMK für das hält, wofür er vor 10 Jahren auch konzipiert wurde. Problematisch wird es nur dann und sofern der IKMK als Ersatzinstrument für eine vermeintliche Provenienzforschung ausgegeben wird.
So, wie der IKMK ausgestattet ist, darf von keinem Werkzeug die Rede sein, das eine Provenienzforschuung erblicken lässt, ermöglicht oder gar voraussetzet. Und das nicht nur aufgrund des schon erwähnten, unmittelbaren Problems der fehlenden Möglichkeit, Treffer nach Accession-Datum zu filtrieren, sondern aus anderen, tieferergreifenderen Gründen, die hier unten knapp aufgeführt werden.

1) Verantwortung der Provenienzforschung der eigenen Bestände

Ist die Provenienzforschung eine Aufgabe der Benutzer oder des Museums? Warum sollte ein Benutzer Provenienzforschung im Museum betreiben, und zwar anhand von einer partiellen Auswahl von Objekten? Ich fände die Möglichkeit sehr interessant, bei einer festgehaltenen Zentralkoordination ein kollaboratives Werkzeug mit engagierten Benutzerinnen und Benutzern zu teilen. Die Verantwortung der Forschung muss aber immerhin vom Museum bzw. von mit einenem Spezialwissen versehenen Museumsmitarbeitern getragen werden.
Im Endeffekt sind in dem IKMK keine Ergebnisse einer systematischen Provenienzforschung zu finden, sondern “nur”  für die Numismatiker sehr nützliche Informationen über die bisher katalogierten Stücke; für eine regelrechte Provenienzforschung können solche Informationen höchstens als zu prüfende und zu ergänzende Ausganspunkte angesehen werden.

2) Auswahl, Stichproben und Bestand

Eine flächendeckende Provenienzforschung über den ca. 600.000 Objekte umfassenden Bestand des Berliner Münzkabinetts kann sich nicht auf eine willkürlich ausgewählte Anteil von ca. 31.000 basieren. Vor allem aber – ab ovo – ist es nicht von den einzelnen Objekten ausgehend, dass man systematisch den ganzen Bestand erforschen kann.
Die Logik nach welcher, Stück für Stück je nach unterschiedlichen Interessen und Patenschaften die neu in den IKMK erfassten Objekte auch mit Angaben über Veräußerer und Vorbesitzer versehen werden, ist mit keiner durchdachten Provenienzforschung kompatibel.

3) Quellenangaben, Quellen-Prüfung und -Zugang

Die angeblichen Provenienz-Angaben des IKMK, die an sich schon nicht ausreichen, um von Provenienzforschung zu reden (kein Provenienzforscher aus anderen Gebieten würde sich mit der Feststellung des letzten ermittelbaren Vorbesitzers zufrieden stellen können!), werden außerdem im IKMK ohne Quellenangabe veröffentlicht. Vielleicht sind solche Belege und Beweise intern (also hinter der IKMK-Interface) zu rekonstruieren. Meine Befürchtung ist aber, dass die herangezogenen Quellen nicht gesondert archiviert wurden, sodass die seinerzeit zuerst herangezogenen Quellen bei der Nachprüfung der schon geleisteten Recherche sowie bei dem Vergleich mit anderen Quellen nicht immediat abrufbar sind.

Fazit

So lobenswert und für den Numismatiker hilfreich das Instrument des IKMK auch ist, darf sein Potential mit den Aufgaben einer verantwortungsbewussten, pluralen Provenienzforschung nicht verwechselt werden. Ich bin der Meinung, die bisher geleistete Forschung der Provenienzen sollte systematisch erfasst und transparent gemacht werden. Dabei ein besonderes Augenmerk auf die NS-Provenienzforschung sollte gelegt werden.
Mit dem vorliegenden Beitrag will ich keinen der geschätzten Kollegen vom Berliner Münzkabinett professionell angreifen. Da ich aber auf Twitter seit September 2008 aktiv, in Berlin seit 2011 wohnhaft und mit NS-Provenienzforschung im numismatischen Bereich seit 2013 tätig bin, habe ich mich durch diese Äußerungen direkt angesprochen und mindestens den oben aufgeführten Präzisierungen verpflichtet gefühlt.